Leica M9 – Ein subjektiver Erfahrungsbericht

Ein subjektiver Erfahrungsbericht, eine Annäherung an eine Legende und Erkenntnisse darüber, warum Kleinbild irgendwie doch Leica ist.

So hat Christian Ahrens, Corporate Fotograf aus Köln, seinen Gastartikel zur Leica M9 überschrieben und fährt fort:

Was treibt einen Berufsfotografen mit Schwerpunkt Industrie- und Businessfotografie dazu, sich mit einer Leica M9 auseinander zu setzen? In meinem Beruf sind digitale Kleinbild-Spiegelreflexkameras Standard, und natürlich nutze ich diese Geräte täglich für alle anfallenden Jobs. Und schleppe meist klaglos meine 15-Kilogramm-Fototasche (und die 30 kg Licht) zum Einsatzort. Und meine beiden Canonen machen ihren Job gut und mit der erreichbaren Qualität sind nicht nur ich, sondern auch die Agenturen und Kunden mehr als zufrieden.

Eine Kamera für immer dabei

Doch gehöre ich zu den Fotografen, die ihre Leidenschaft für das Bildermachen nicht Freitag Nachmittag an der Garderobe abgeben und erst am Montag wieder hervorkramen. Neben meinen beruflichen Engagements bin ich auch in meiner Freizeit Fotograf – und benötige folglich auch für die umsatzfreien Zeiten im Leben eine Kamera.

Das sind derzeit ganz selbstverständlich meine beiden Spiegelreflexkameras – doch wie ich zugeben muss, geschieht dies immer mehr sozusagen gegen meinen Willen. Zunehmend habe ich immer weniger Lust, die großen und sperrigen DSLRs mitzunehmen und privat damit zu fotografieren. Dabei ist es nicht so, dass ich diese Kameras nicht mehr gerne in der Hand halte. Das tue ich durchaus, und eine 1D MK III mit angesetztem 28mm Objektiv fühlt sich nach wie vor richtig gut an. Sie passt jedoch nicht in eine Jackentasche, ich kann sie nicht im Handschuhfach transportieren oder einfach in die Aktentasche stopfen. Und das stört mich. Das möchte ich gerne ändern.

Links meine bisherige „Freizeitkamera“: Eine EOS 1 D Mk III mit angesetztem 28mm-Objektiv, was ungefähr einem 35mm KB-Äquivalent entspricht. Rechts die Leica: ganz schön klein, knuffiges Objektiv, aber trotzdem richtig schwer.

Leider erfüllt keine der kompakten Kameras des Weltmarktes meine Wünsche in Sachen Handling und Bildqualität. Denn neben kleinem Packmaß soll diese Immer-dabei-Kamera dennoch qualitativ top sein, ein lichtstarkes Objektiv besitzen und darüber hinaus auch bei hohen ISO-Zahlen gute Ergebnisse bringen. Und Spaß machen! Zu analogen Zeiten wäre das gar kein Problem gewesen, eine Vielzahl von guten Sucherkameras hätte hier Abhilfe geschaffen, eine Rollei 35 fällt mir ein, eine Minox – tja, oder auch eine Leica natürlich!

Eine Kamera, die solche Ansprüche zu erfüllen antritt, war im Lande Digitalien bis vor kurzem einfach nicht zu haben. Die ganzen „Kompakten“ scheiden wegen ihres Miniatur-Sensors und der entsprechend schlechten Leistung bei höheren Empfindlichkeiten meist aus. Doch im vergangenen Jahr kamen nun einige interessante Kamerakonzepte auf den Markt, bei denen ich mich schon fast am Ziel wähnte: Olympus, Panasonic usw. boten auf einmal Modelle, die über einen „anständigen“ Chip verfügten.

Doch bei näherem Hinsehen erwies sich jedes dieser Kameras für mein Gefühl als untauglich: kein Sucher, kein nutzbarer Sucher, kein kleines Objektiv, keine lichtstarken Festbrennweiten, keine Pancakes, die ein 35mm Äquivalent schaffen, einen vernünftig schnellen Autofocus haben – oder überhaupt lieferbar sind. Und so weiter.

Solcherlei Mängel in wechselnder Kombination ließen jede der ins Auge gefassten Lösung letztlich als nicht tauglich erscheinen, zumal die Hersteller ja auch kein Taschengeld sondern richtig hohe Eurobeträge für ihre unausgereiften Kreationen sehen wollen. Zu guter Letzt holte ich mir sogar eine Canon G11 aus dem Rent. Und obwohl hier auch nur ein kleiner Chip am Werk ist, war ich von der Bildqualität durchaus angetan. Aber dennoch: mit dieser Kamera fühlt sich das Bilder-machen nicht nach Fotografieren an, sondern nach Knipsen. Und obwohl mir die Kamera äußerlich eigentlich gut gefiel, habe ich sie dann ohne Bedauern wieder zurückgegeben.

Leica als Lösung?

Und so rückte letztlich die Marke Leica in mein Visier. Und das, obwohl ich ein bekennender Leica-Kritiker bin und bei Fragen nach diesem deutschen Traditionshersteller bisher immer recht bissig zurückgefragt habe, ob es um den Hersteller gehe, der in seiner langen Geschichte noch jeden Paradigmenwechsel verschlafen habe und sich deswegen mit Sammler-Sondereditionen für Vitrinenfotografen über Wasser halten müsse.

Doch mit der aktuellen Inkarnation der M-Sucherkameras, der M9, hat Leica nun eine Kamera im Portfolio, die die eingangs von mir erhobenen Forderungen praktisch alle zu erfüllen scheint: die Kamera bietet einen Vollformatchip mit hoher Auflösung, sie ist kombinierbar mit hervorragenden und sehr kompakten Optiken mit hoher Lichtstärke, und eine Kamera plus Festbrennweite passt gerade auch noch in eine Jackentasche, jedenfalls dann, wenn es sich um ein 35mm Objektiv handelt.

Und genau das war es ja, was mir ursprünglich vorschwebte: eine perfekte 35mm-Performance, die Bilder erzeugen kann, die im Zweifel nicht nur fürs Fotoalbum, sondern auch für eine Ausstellung taugen.

Da traf es sich gut, dass Michael Kirchner von Fotografr mich bat, einen Erfahrungsbericht über die Leica M9 zu schreiben. Auch Leica konnte für dieses Projekt gewonnen werden, und so traf kurze Zeit später das gewünschte Stück bei mir zum Test ein, zusammen mit zwei Summariten, einem 35mm/2.5 und einem 90mm/2.5.

Die Summarite sind eine relativ neue Objektivreihe und bilden innerhalb der Leica Hierarchie die preiswertere Einsteigerlinie. Nichtsdestotrotz gelten sie als mechanisch und optisch top, bieten jedoch nicht die hohen Lichtstärken ihrer teureren Pendants.

Das Paket von Leica war groß und voluminös und als ich endlich unter all dem Verpackungsmaterial die Kameraschachtel und die beiden Verpackungen mit den Objektiven gefunden hatte, stellte sich spontan erstmal so ein Art Apple-Auspack-Gefühl ein. Die Verpackung war durchdacht, liebevoll und hochwertig gemacht und gab zum guten Schluss ein Stück wertiger Opto-Elektronik preis: eine M9 mit zwei handlichen und schönen Objektiven. Feuchter Traum aller Leicaisten, die endlich digital werden wollen. Aber auch eine Kamera für mich?

Inbetriebnahme

An dieser Stelle wird nun erst einmal ein Geständnis fällig. Meine fotografische Sozialisation ist fast 100%ig die eines Spiegelreflexfotografen. Deshalb sind mir analoge kompakte Kameras wie die oben erwähnten von Namen und Erscheinungsbild zwar vertraut, aber ich habe nie wirklich damit fotografiert. Die einzige Kamera, die ich je in Benutzung hatte und die vom SLR- Konzept abwich, war eine analoge Contax TV-s, die schön kompakt und für die von mir jetzt gewünschten Zwecke eine Traumkamera wäre (bis auf die fehlende Lichtstärke), jedoch bereits mit Autofokus ausgestattet war – und natürlich noch immer mit Filmen gefüttert werden will. Kann man anno 2010 noch Messsucherfotograf werden – wenn man nie zuvor mit dieser Technik in Berührung gekommen ist? Eine spannende Frage, ich war wirklich neugierig auf meine ersten Erfahrungen dazu.

Doch zunächst noch einige Bemerkungen zur Inbetriebnahme der M9. Die Leica ist dankenswerterweise eine ganz einfache Kamera. Jeder Fotogaf, der mit den Grundlagen fotografischer Technik vertraut ist und schon mal einen digitalen Fotoapparat in Betrieb genommen hat, kommt sofort mit der M9 klar und ist in der Lage, Bilder sinnvoll zu belichten, auch ohne das Handbuch zu konsultieren. Die Beschränkung auf einige wenige Bedienungselemente, die Kombination aus althergebrachten Fotoprinzipien wie Blendenringe am Objektiv (die vermisse ich bei meinen Canons noch heute) und klassisch angeordneten Bedienelementen – all das lässt einen sofort vertraut werden mit dieser Kamera.

Einige wenige Funktionen, wie zum Beispiel die Belichtungskorrektur, habe ich allerdings nicht intuitiv verstanden. Wenn einem das aber nur zweimal in drei Wochen passiert, halte ich das für einen guten Schnitt. Es ist eigenartig: obwohl mir das Kameraprinzip (Messsucher) nicht geläufig ist, führt einen diese Kamera doch wieder zurück zu einem von mir als „klassisch“ empfundenen Kleinbild-Fotografieren. Meine ehrwürdige Minolta XD-7 sah von den Bedienungselementen ganz ähnlich aus, auch wenn sie eine gänzlich andere Kamera war. Vom Gefühl und vom Herzen her fühlte ich mich irgendwie „zuhause“ mit dieser M9. Mehr als ich es von meinen hocheffizienten Kameracomputern heute gewohnt war und bin.

Weiter lesen: Leica M9 – Annäherung an eine Legende

12 Kommentare zu „Leica M9 – Ein subjektiver Erfahrungsbericht“

  1. Schöner Artikel, ich freue mich schon auf Teil 2. Und ich musste doch grinsen, als Christian das mit dem „Vermissen der Blendenringe“ schrieb. Ich hatte schon die Befürchtung, ich sei der Einzige dem das so geht 😉

  2. Die Pentax K-x zusammen mit dem winzigen DA21/3,2 soll auch durchaus Jackentaschentauglich sein und gute Ergebnisse in höheren ISO-Bereichen erzielen.

  3. Die M9 ist eine echt polarisierende Kamera! Erst hat sie mcih überhaupt nicht interessiert aber in den letzten Wochen erwische ich mich immer öfter wie gerne ich ein solches „Entschleunigertoll“ hätte…

    Spitzen Artikel Christian – VIELEN DANK!

  4. Klasse Bericht von Christian Ahrens. Jetzt kommen wir langsam in die digitale Qualitätsregion, wo man mit dem heute aktuellen Stand über Jahre leben kann, ohne sich die Haare zu raufen, weil das Nachfolgemodell deutlich weniger rauscht, höhere Lichtkontraste verkraftet oder den größeren Sensor hat.
    Bisher war es so, dass meine alten Analogkameras mit jeder neuen Filmemulsion besser wurden – ganz im Gegensatz zu den Digitalmodellen aller Hersteller. Die waren spätestens nach dem übernächsten Modell nicht mehr Stand der Technik.

    Auf der Gegenseite habe ich als Analogfotograf natürlich einen recht erheblichen Zeitaufwand mit dem Scannen der Filme, neben diversen anderen Nachteilen. Mich würde daher interessieren, wie hoch der Aufwand bei der Umwandlung der Rohdaten in farbrichtige TIF-Dateien wirklich ist. Sitzt man dabei auch viele Stunden am Computer und optimiert bei jeder Aufnahme Farbe und Kontrast, um das bestmögliche Ergebnis zu erhalten?

    Wie sieht es mit dem real bewältigten Kontrastumfang aus? Kann die Kamera, bei ISO 100, mit Farbnegativ konkurrieren – z. B. mit dem neuen Kodak Ektar 100?
    VueScan + Mehrfachbelichtung + Nikon Coolscan bringen da erstaunliche Resultate.

    Wie ist es mit dem Staubeintrag beim Objektivwechsel. Liegen da schon Erfahrungen vor, meinetwegen von der M8?
    Wenn ich so den Staub sehe, der sich auf meinen Analogkameras ansammelt und zwangsläufig auch ins Gehäuse kommt, kann das hier nicht anders sein. Bei jedem Objektivwechsel ist die Kamera offen! Mein fotografisches Hauptbetätigungsfeld liegt draußen und da gibt es jede Menge staubige Wege.

    Mit dem Messsucherprinziep bin ich vertraut, da ich mehrere Jahre mit einer M6 fotografiert habe – bevor ich zum Mittelformat wechselte. Probleme gab es eigentlich nur im Nahbereich und bei dem Versuch hin und her rennende Kinder in die Schärfeebene zu bekommen. Bei letzterem hat man gegenüber einem heutigen Nikon/Canon-Autofocus keine Chance und für Macros ist das Messprinziep der M-Kameras einfach nicht genau genug. Auch Teleaufnahmen bleiben außen vor.

    Die eindeutigen Vorteile sehe ich in den nahezu verzeichnungsfreien und obendrein lichtstarken Weitwinkelobjektiven und natürlich im sensationell geringen Gesamtgewicht einer M-Fotoausrüstung. Die geringen Gehäuseabmaße im Verhältnis zur Sensorgröße führt Christian in seinem Erfahrungsbericht mit dem Bild der Canon Eos1 MK III neben der Leica M9 recht deutlich vor Augen.

    Mit einer Leica-M und einem 2,0/35 mm Objektiv kann man wunderbar unaufdringlich agieren, kein Vergleich zu so einem Profi-Geschoss inklusive Riesenzoom.
    Sollte jemand Sorge haben, mit zwei, drei Festbrennweiten nicht für alle Aufnahmesituationen gewappnet zu sein, ist das zwar richtig, aber mit so einer gewaltigen Spiegelreflex kommt es zu vielen Aufnahmesituationen erst gar nicht, weil man die Leute verschreckt!

    Alles in allem glaube ich, dass Leica mit der M9 ein großer Wurf gelungen ist.
    Ich denke, wenn es mir in den nächsten Jahren nicht ganz schlecht geht, werde ich die wohl haben müssen …

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  7. Netter Bericht! Aber bitte zur Richtigstellung:
    „Eine EOS 1 D Mk III mit angesetztem 28mm-Objektiv, was ungefähr einem 35mm KB-Äquivalent entspricht.“ >> Die 1D MK III hat einen 1.3 crop factor sensor verbaut. Also kein KB-Äquivalent und von der Bildqualität mit der Leica M9 einfach nicht zu vergleichen. Wer mit einer Leica M9 mehrere Monate am Stück fotografiert (>8000 Bilder min.) und sich auf sie einläßt, wird mit unglaublichen Bildern belohnt. Ich kann nur sagen, Bildqualität und Schärfe sind überragend und übertrifft bei einigen Situation sogar die Bildquaität der 5D Mark II. Einfach erklärt, mit einer Leica M9 bekomme ich Bilder, die ich mit einer 5D Mark II oder jeder anderen Spiegelreflex (vergleichbare Leica Brennweiten) nie hinbekommen hätte.

  8. Hallo KM,

    Du hast den Text missverstanden. Ja, die Mk III hat einen 1,3 Crop. Das bedeutet für die Bildwirkung: 28mm x 1,3 = 36,4. Schraubt man an diese Kamera also ein 28mm-Objektiv, realisiert das Objektiv einen sichtbaren Ausschnitt, der mit 35mm an KB vergleichbar ist.

    Die technische „Bildqualität und Schärfe“ der M9 ist sehr gut, da stimme ich Dir zu und habe das in meinem Beitrag ja auch gewürdigt.

    Andererseits darf man nicht vergessen, dass diese doch sehr technischen Parameter nur selten etwas zur emotionalen oder intellektuellen Wirkung eines Bildes beitragen oder gar notwendig sind.

    Dennoch macht es Spaß, mit handwerklich nahezu vollendet gearbeiteten Optiken zu hantieren, keine Frage. Auch die Fujifilm X100 ist diesbezüglich übrigens sehr gut – gleicher Effekt, gleiche Freude. Hier werkelt dann ein Objektiv mit physikalisch 23mm – und wirkt wie ein 35mm an KB.

    VG
    Christian

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