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Revolte – Fotografien von Ludwig Binder

Gastbeitrag von Falk Frassa

Seit einigen Jahren schon bin ich ein großer Fan klassischer Reportage, beneide ich die Fotografen der analogen Ära. Sie waren als Bildreporter nicht selten fester Bestandteil der Redaktionen und für mich die Geheimagenten und Abenteurer unter den Fotografen!
(Besonders in meinen fantasievollen, frühen Jugendjahren hielt sich dieses Bild tapfer aufrecht.)

Aus diesem Grund habe ich mich auch diebisch über die Einladung zur Eröffnungsfeierlichkeit der neuen Fotoausstellung namens „ Revolte “ gefreut! Obwohl diese Einladung so gar nicht in meinen Terminplan passte, beschloss ich diesen Termin unbedingt wahrzunehmen!

Gezeigt werden im Haus der Geschichte in Bonn genau 100 Arbeiten des 1980 verstorbenen Fotojournalisten Ludwig Binder.

Eröffnung der Ausstellung

Bonn, Donnerstagabends um 19.13 Uhr:
„Guten Abend Herr Frassa, da haben Sie es ja doch geschafft! Herr Rakete hat auch eben erst angefangen – warten Sie kurz, ich kenne einen Trick, damit die Tür nicht knarzt!“ 🙂

Was eine aufmerksame Begrüßung!

(Sie müssen die Teilnehmer vorher bei Facebook gestalkt haben^^)

Jim Rakete

„Herr Rakete“ ist übrigens der Starfotograf Jim Rakete. Er hat Ende der 60er-Jahre als Schüler bei Ludwig Binder gearbeitet und stand bei der Entstehung vieler der ausgestellten Fotografien neben Binder oder gar mitten im Bild.

Ludwig-Binder-Jim-Rakete

Im Saal angekommen wurde ich gleich von der gleichermaßen ent- und gespannten Atmosphäre gepackt. Jim Rakete hat eine extrem sympathische und ausgeglichene Art seine Geschichten zu erzählen, versteht es aber dennoch spürbar Spannung aufzubauen.

Wir folgten ihm mit Ludwig Binder in ein Deutschland, dass von Konflikten, Anschlägen und Demonstrationen geprägt war. Ich musste mir nach diesen Geschichten und Emotionen eingestehen die Endsechziger unterschätzt zu haben. Hätte ich in der Schule mal besser aufgepasst.

Die harten Studentenproteste gegen das ignorante Schweigen der Altnazis, die Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam und die Kritik an alten, knorrigen Strukturen in den Universitäten und Köpfen der Menschen, das Aufbäumen gegen die so rigide Sexualmoral – all das bot intensive und explosive Motive für die Fotografen dieser Tage. Erstaunt hing ich an Raketes Lippen.

Ludwig-Binder-Jim-Rakete

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Er erzählte von der ersten Begegnung Binders, berichtete aus dem Nähkästchen was sie verband und was sie trennte, äußerte seine Bewunderung für diesen ihn prägenden Fotografen. Dabei verlor er aber nie die Arbeit an der journalistischen Front oder die dortigen Stimmungen aus den Augen.

Jim Rakete zählt sich übrigens auch als 66-Jähriger zur Generation Selfie – warum genau habe ich erst später in der Ausstellung erfahren. 🙂 Dazu später mehr.

Nach interessanten 45 Minuten machten wir uns gemeinsam auf.

Wer nun einen normalen Gang oder eine schlichte Treppe zu einem Ausstellungsraum erwartete, geriet in diesen Momenten arg ins Staunen:
Direkt aus dem Foyer des Hauses der Geschichte führt ein Gang hinab in eine in Betrieb befindliche U-Bahn-Station. Der unterirdische Weg führt an einem alten Eisenbahn-Salonwagen vorbei, welcher der ersten Bundesregierung treue Dienste geleistet hat und innen unverändert ist. Wenige Meter weiter parkt Adenauers erster Dienstwagen (ein Mercedes, das Original soweit ich weiß.).

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Von diesen unverhofften Begegnungen beeindruckt kamen wir in die große Halle der U-Bahnstation und brauchten einen Moment, um zu verstehen wie es jetzt weiter geht.

Wir standen nämlich bereits mitten im ersten Teil der Ausstellung! Stimmungsmäßig sehr passend zwischen Bierdosen und ausgetretenen Zigarettenkippen präsentieren sich dort beeindruckende Fotografien, welche die rauen Demonstrationssitten ihrer Zeit zeigen.

Weil es eben keine verschlossene Ausstellung, sondern ein öffentlicher Ort ist, mischten sich schnell einige Passanten zwischen die geladenen Gäste. Besonders die Jugendlichen brachten ein wenig Bewegung und Frische in den teils müden Haufen der geladenen Gäste. Schön zu sehen, wie interessiert und beeindruckt sie waren.

Hier unten fiel mir zum ersten Mal die unglaublich hohe Güte der Fotografien auf – für analoge und vor allem so wilde Zeiten wirklich beeindruckend!

Auf der anderen Seite verließen wir den Schacht wieder und gingen in den angrenzenden Pavillon.

Neben Champagner, Erfrischungsgetränken und Kaffee gab es eine Vielzahl von Canapés. Schönes Detail: Hier hatte sich ein gewitzter Passant, der ziemlich offensichtlich nicht zur Gruppe gehörte 🙂 unter die geladenen Besucher gemischt und ist mit einem großen Teller mit Canapés sowie einem Glas Orangensaft bewaffnet durch die Ausstellung gezogen und hat sich jedes einzelne Bild mit viel Muße angesehen. Sehr sympathisch: Niemand hat sich daran gestört.

Ludwig-Binder-Jim-Rakete

Das erste Bild war das vorher im Saal angedeutete Selfie von Binder und Rakete – ich musste bei diesem Anblick ganz spontan und unangepasst auflachen! Eine sehr schöne Idee, eine doch weitgehend ernste Ausstellung mit dem Dokument eines ausgelassenen Abends unter Freunden zu beginnen.

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Die Fotografien haben mich durchweg gefesselt. Das Thema Mauerbau oder die Schuhe des bei dem Attentat schwer verletzten Rudi Dutschke am Tatort regen zum Stehenbleiben und Innehalten an. Es gab aber auch jede Menge Skurriles aus anderen, unerwarteten Bereichen wie der Raumfahrt oder dem ShowBiz.

Nach meiner ersten Runde gesellte ich mich zu Jim Rakete und ein paar Journalisten. Die Kamera ausnahmsweise auffällig um den Hals, bekam ich bald ein dezentes Handzeichen und fand mich mit ihm und einer Journalistin in der Ausstellung wieder.

Es war wirklich beeindruckend vor einer fast 50 Jahre alten Schwarzweiss-Fotografie zu stehen und von einem Zeitzeugen (der ganz nebenbei einer der bekanntesten deutschen Fotografen ist) die Aufnahmesituation mitten in der eskalierten Demo erzählt zu bekommen. So beginnen sich alte Fotografien im Kopf wieder zu bewegen…

Ludwig Binder

Fazit des Abends

Diese Ausstellung hat den Fotografen in mir inspiriert, den Menschen in mir beeindruckt und den unaufmerksamen Schüler von damals aufgeklärt – und ein paar Male habe ich auch noch schön gelacht!

Auch ohne Jim Rakete, Champagner und Schnittchen bin ich mir sicher, dass diese Ausstellung mindestens einen Besuch wert ist!

Also: Hinfahren, es lohnt sich!

Informationen

Ausstellung vom 30. Juni 2017 bis 11. März 2018

Pavillon: Dienstag bis Freitag 9 – 19 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage 10 – 18 Uhr
U-Bahn Galerie: Tag und Nacht geöffnet
Eintritt frei
Mehr Informationen: Haus der Geschichte, Bonn

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P.S.: Nun werde ich wohl wieder öfter davon träumen mehr Reportagen auf die ganz klassische Art zu fotografieren! Noch während der ersten Minuten bin ich – tatsächlich unbewusst – mit meiner geliebten Fujifilm X100f ins Acros-SW mit knackigen Kontrasten gerutscht… faszinierend.

 

Autoreninfo

Falk Frassa
Der Autor dieses Beitrags ist Falk Frassa. aus Ratingen bei Düsseldorf, Kinderkrankenpfleger, Rettungsassistent, Fotograf und Podcaster.

Sein Schwerpunkt liegt in der spürbaren Schwarzweissfotografie. Diese setzt er besonders gern für exklusive Hochzeitsreportagen, emotionale Peoplefotografie und den Fotojournalismus ein.

Gemeinsam mit Thomas Jones betreibt er den Podcast „Die Photologen“, bei dem die beiden über ihre Art der Fotografie sprechen.

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