Von Cora und Georg Banek
Der Ausschnitt, den Sie aus der Realität wählen, um ihn dem Betrachter als Foto zugänglich zu machen, begründet das Bild. Er legt fest, was für Sie das Wesentliche der Aufnahme ist. Zusätzlich hat der Bildschnitt eine formale Funktion: Er bildet den Rahmen für die weitere Bildgestaltung und wirkt sich damit auf den Bildaufbau und die Linienführung aus. Daher ist er gleichzeitig ein inhaltliches und ein formales Gestaltungsmittel.
Welchen Ausschnitt Sie genau für ein Bild wählen, liegt in der Wahl des Motivs (inhaltliche Ebene), des Standorts (formale Ebene) und der Brennweite (technische Ebene) begründet. Diese drei Ebenen beeinflussen sich dabei immer gegenseitig.
Die Ausschnittsgrößen
Die Größe des Ausschnitts ist entscheidend für die Wirkung, die das Bild auf den Betrachter hat. Vergleichbar mit den Einstellungsgrößen des bewegten Films unterscheiden wir dabei Weit, Total, Halbtotal, Halbnah, Nah, Groß und Detail. Je nachdem, welche Größe wir für unsere Aufnahme wählen, verändern sich für den Betrachter die Sichtweise auf das und der Abstand zum Motiv und damit auch der Informationsgehalt des Bildes. Auf der nächsten Seite erläutern wir die zoomartige Veränderung der Bildausschnittsgrößen und wie sie sich auf die Wichtigkeit der Bildelemente und damit die Bildaussage auswirken.
Distanz und Nähe
Mit Ihrer Wahl einer Ausschnittsgröße entscheiden Sie sich auf der inhaltlichen Bildebene für Ferne oder Nähe, die Sie für den Betrachter inszenieren. Je weiter Sie den Bildausschnitt fassen, desto stärker vermitteln Sie einen Überblick. Die Aufnahme bildet dann eine Gesamtsituation ab, stellt Verbindungen und Beziehungen zwischen den Bildelementen her. Sie bezieht den Kontext der Situation und die Umgebung mit ein.
Wählen Sie hingegen einen engeren Ausschnitt, so wird Nähe zwischen dem Modell und dem Betrachter hergestellt. Je stärker diese Nähe, desto ungewohnter wird die Sichtweise des Betrachters auf Ihre Aufnahme. Die Herauslösung von Details und die Verkürzung der Entfernung zwischen Betrachter und Modell schaffen dabei eine Intimität, die wir eigentlich nur zu Menschen haben, denen wir nahestehen. Diese ungewöhnliche Nähe zu einer eigentlich fremden Person wirkt auf den Betrachter interessant, spannend und aufregend. Porträts, bei denen mit der Abbildung die gewohnte Entfernung von mindestens einer Armlänge eingehalten wird, wirken dagegen normal und damit – rein formal betrachtet – langweiliger.
Der Ausschnitt
Das Wichtigste bei der Wahl des Ausschnitts ist, dass Sie sich konzentrieren – auf das Wesentliche. Auf jene Elemente, die für Ihr Bild wichtig und entscheidend sind. Die Faustregel dabei ist immer: »Weniger ist mehr!« Weniger Bildelemente bedeuten mehr wesentlichen Bildinhalt. Dabei haben Sie die Möglichkeit, ein Stück der Realität so herauszulösen, wie es Ihnen gefällt. Der spätere Betrachter weiß nichts von der Umgebung, dem Hintergrund oder störenden Elementen, die Sie durch die Wahl des Ausschnitts unsichtbar gemacht haben. Gerade bei Aufnahmen, die outdoor oder on Location entstehen, finden sich im Hintergrund häufig störende Details oder unruhige Flächen. Diese ziehen – insbesondere wenn sie heller als der Rest des Bildes oder geometrische Formen sind – den Blick des Betrachters zu stark an und lenken vom Hauptmotiv ab.
Der Anschnitt
Sobald Sie den Bildausschnitt so wählen, dass bestimmte Bildelemente nur teilweise auf dem Bild zu sehen sind, handelt es sich um ein angeschnittenes Bild. Angeschnitten werden in der Porträtfotografie in der Regel die Beine oder Arme, die Haare, das Kinn oder die Stirn. Während das Anschneiden der Beine oder Arme noch akzeptiert wird, stößt ein angeschnittener Kopf häufig auf Überraschung oder sogar Ablehnung beim Betrachter. Und dabei ist der Grund für die Anschnitte eigentlich derselbe: Wir wollen unwichtige Teile des Motivs nicht mit aufs Bild nehmen oder zumindest in ihrer optischen Dominanz stark reduzieren. Möchten wir ein Oberkörperporträt machen, schneiden wir die Beine an, bei einem Kopfporträt den Oberkörper. Im gleichen Sinne schneiden wir Haare und Stirn an, wenn wir uns stärker auf das Gesicht der Person konzentrieren wollen. Die – häufig informationslosen – Flächen von Stirn und Haaren würden dabei zu viel Raum im Bild einnehmen. Denn das Wesentliche bei einem Gesichtsporträt ist eben das Gesicht, dessen Ausdruck und Mimik.
Ein Fotograf, der sich von vornherein dagegen verschließt, einen Kopf im Bild anzuschneiden, limitiert sich nicht nur sehr stark in den möglichen Bildausschnittsgrößen, sondern auch in der emotionalen Bandbreite seiner Porträts. Denn je näher wir dem Modell als Betrachter kommen, desto mehr Intimität wird uns suggeriert.
Das, was nicht zu sehen ist
Sie können durch einen gezielten Schnitt Teile des Bildinhalts ungezeigt und damit unerklärt lassen. Sie wecken damit die Fantasie des Betrachters, der sich zum Beispiel vorzustellen versucht, was das Modell wohl sieht, da es so gebannt zur Seite schaut. Denn nicht alles muss explizit im Bild gezeigt werden. Andeutungen zu machen, Details zu verdecken, zu verhüllen oder eben ganz wegzulassen, ist erlaubt. Als Stilmittel eingesetzt, wirkt dies sehr stark, da der Betrachter dazu gezwungen wird, sich mit der Aufnahme auseinanderzusetzen.
Doch treiben Sie es nicht zu bunt mit dem Betrachter Ihrer Bilder: Sie dürfen ihn irritieren und neugierig machen. Verstehen sollte er Ihre Bilder aber schon, wobei das Verständnis für enge Bildschnitte sehr stark abhängig vom Alter ist: Jüngere Menschen kennen solche Bildsprachen eher. Und auch die Kultur prägt dieses Verständnis: Der sozial akzeptierte Mindestabstand zwischen Menschen regelt auch die fotografische Umsetzung von Distanz und Nähe.
Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch
Cora Banek / Georg Banek
Porträtfotografie 1
Der Mensch als Motiv
39,90 Euro(D) / 41,10 Euro(A)
400 Seiten, komplett in Farbe, Festeinband
dpunkt.verlag
ISBN: 978-3-86490-225-3
Ich habe immer ein wenig Skepsis bei Menschen die zu jedem Thema ein Buch schreiben können. Auf mich vermittels es den Eindruck, dass ein Buch nicht aus Notwendigkeit des Themas sondern aus wirtschaftlichen Gründen geschrieben wurde. Viele solcher Bücher sind für meinen Geschmack auch nur recht oberflächig geschrieben. Aber da muss sich sicher jeder seine eigene Meinung zu bilden.
Gruß
Oli
Hallo Oli, ganz kurz zu deiner Skepsis: Die allermeisten Bücher machen weitaus mehr Arbeit als dass sie dem Autor oder der Autorin einen konkreten wirtschaftlichen Gewinn bringen. Anders formuliert: Wer ein Buch schreibt, sollte sich entweder keine Gedanken um den Stundenlohn machen oder es lieber lassen. Wobei es sicher Ausnahmen gibt. „Rechnen“ tun sich Fachbücher oft erst dann, wenn man den „PR-Faktor“ für den Autor/die Autorin mit einbezieht. Ein überwiegend positiv besprochenes Buch fördert den Bekanntheitsgrad und kann als eine Art Gütesiegel wirken.
Hallo Harald,
da gebe ich Dir prinzipiell uneingeschränkt recht. Jeder muss dann für sich entscheiden mit welchem Autor/Buch er etwas anfangen kann und ihm wirklich eine Hilfe sind oder waren. Mir zum Beispiel geht es so mit Büchern von E. Schuy, weil ich dort wirklich viele konkrete Tipps und Hilfestellungen finden kann. Andre Bücher die ich im Regal stehen habe gehen leider über allgemeine Floskeln nicht hinaus und würden noch immer zutreffen wenn man den Buchtitel zu einem anderen Thema austauscht. Wie gesagt, dass muss jeder selbst für sich beurteilen.
Gruß
Oli
Die Wahl des richtigen Ausschnitt bzw. Anschnitt kann man auch anders und ebenfalls so einfach selbst erlernen:
man nehme Werbeanzeigen aus alten Zeitschriften (möglichst ohne Schriftzug) – egal was. Von Glühbirne über Filmszenen/-poster bis hin zu Foodbildern. In unterschiedlich große Stücke geschnitten können einzelne Details eine geeignetere Bildaussage erzielen als das Gesamtbild. Letzteres kann man damit kontrollieren, indem man seine Stücke wieder zusammen legt abe gleichzeitig kleinere Lücken dazwischen lässt.
Bei manchen Fotomotiven hilft aber einfach nur plump draufhalten.
Hallo Claudia,
Gute Idee!!! Ich lerne auch gerne von Bildern die mir einfach gut gefallen.
Gruß
Oli