Optimale Bildauswahl nach dem Fotoshooting

6. Dezember 2011März 2nd, 2022Kein Kommentar

Aus dem Fotografr-Forum (2010)


mahatmaray

Ich habe probleme bei der bildauswahl und kann mich oft nicht entscheiden. ich benutze LR und Photoshop

Frage:

1. gibt es ein gutes system und ein paar tips wie man eine effiziente bildauswahl trifft?

2. übergibt man dem kunden immer eine vorauswahl oder ist es auch üblich den kunden selbst die bildauswahl zu überlassen?



Omori

1. Ich nutze die Rating Funktion im Adobe Bridge. Damit erstelle ich dann in kurzer Zeit aus 500 Bilder die 10 oder 20 besten.

2. Ich treffe eine Vorauswahl, aber die endgültige Auswahl bestimmt der Kunde.


Tunnelrat

Wenn es zeitlich auch nur irgendwie möglich ist, lasse ich die Bilder einen Tag liegen. Dadurch gehe ich mit frischen Augen an die Sache. Eine weitere wichtige Sache ist emotionale Distanz zu den Fotos. Man neigt dazu, schlechte Fotos auszuwähöen, weil vielleicht der Produktionsaufwand groß war. Frei nach dem Motto „ich hab so viel Mühe investiert, dass Foto muss in die Auswahl“.

Ich fotografiere nahezu ausschließlich Corporate und Industrie on location, daher kann meine Arbeitsweise nur bedingt auf Studiofotografie angewandt werden (meine Erfahrung)

Ich mache meistens drei Durchläufe:
1.) Sichten nach Ausschnitt und allgemeinem Eindruck
2.) Kontrolle der Auswahl auf Bildschärfe in 1:1 Ansicht
3.) Auswahl auf die besten Fotos weiter beschränken

Ich persönlich halte von einer Bildauswahl durch den Kunden überhaupt nichts. Die Öffentlichkeits-Mitarbeiter in Unternehmen haben selten wirklich Plan von Fotografie und suchen meiner Erfahrung Fotos selten nach für das Unternehmen wichtigen Gesichtspunkten aus (Imageförderung). Selbst Art-Directoren namhafter Agenturen haben mich schon oft mit einer völlig unrealistischen Vorstellung von Fotografie erschrocken. Auch habe ich schon erlebt, dass in Agenturen Praktikanten die Auswahl für Broschüren machen. Da fragt man sich auch, warum der Kunde tausende Euros in eine Produktion pumpt, wenn die Auswahl von einem Anfänger gemacht wird.

Das Problem ist neben dem nötigen Wissen auch meist die fehlende Software. Ich kenne Art-Direktoren, die öffnen alle Fotos einzeln in PS. Wenn ich 200 Bilder für eine Broschüre in PS sichten würde, hätte ich auch keinen Überblick mehr. Schlimmer sieht es in den Pressestellen vieler Unternehmen aus. Die haben meist noch nicht mal Photoshop und mit Windows Bordmitteln große Mengen Bilder zu sichten und danach dann auch die besten auszuwählen ist selbst für Fotografen ein unmögliches Unterfangen. Wer kann sich bitte daran erinnern, ob das Foto besser ist, als das was man 20 Nummern vorher angesehen hat.

Die Menge an Fotos, die ich dem Kunden zur Auswahl gebe, ist stark verwendungsabhängig. Arbeite ich mit einer Werbeagentur z.B. an einer Imagebroschüre für einen Kunden, so ist die Auswahl i.d.R. größer, damit die Agentur genügend Spielraum für das Layout hat. Manche Bilder sehen im Layout nicht gut aus und da sind Varianten immer hilfreich. Z.B. bei Portraits, Person links oder rechts im Bild kann im Layout einen riesigen Unterschied machen. Selten sind die Shotlists detailiiert genug, um das im Vorfeld 100% zu wissen. Fotografiere ich direkt für einen Kunden, bekommt er nur die Premium-Auswahl mit wenig Varianten. Je besser das Briefing für Fotografen vor dem Shooting, desto gezielter kann die Auswahl erfolgen.

Ich rate auch dringend davon ab, B-Ware in die Auswahl zu geben, nur um die Menge etwas anzuheben. Brief- und Siegel dass genau diese Bilder gewählt werden. Ist mir anfangs passiert. Nie wieder.


Christian R

In Ansätzen versuche ich das so zu machen, wie Tunnelrat. Fotos von der Karte in Lightroom importieren, damit die Karte wieder frei wird, Tags mit Projektnamen versehen und dann erstmal liegen lassen.

Am nächsten Tag finden dann meine Durchläufe statt. Der erste siebt das _technische_ Schrottmaterial aus, damit reduziert sich der Rest schon mal etwas. Dann schaue ich mir den Bildinhalt an, bewerte entsprechend.Und alles, was nicht mindestens einen Stern in Lightroom bekommt, geht nicht an den Kunden. Denn nur diese Bilder sind für mich so akzeptabel, dass ich auch dahinter stehe. Und die Feinauswahl erfolgt dann wie Tunnelrat es beschrieben hat. Je nach Verwendungszweck gehen mehr oder weniger Bilder raus.


ohermann

hi,
ich kann die bestens beschriebenen methoden und erfahrungen von tunnelrat nur voll unterstützen – sehe und mache ich genau so – er hat die problematik perfekt beschrieben.
ganz wichtig, wie tunnelrat schon beschrieben hat: nur bilder abgeben, hinter denen man voll stehen kann – man wird an seiner fotografisch/gestalterischen qualität gemessen, nicht an der menge.

ich fotografiere people im bereich stock, ad und corporate publishing. da kommen an jedem produktionstag große bildmengen zusammen.

mein workflow: sichten in capture one pro, erstes rating, dann wenn moeglich etwas anderes machen um den kopf frei zu bekommen und am nächsten tag diese auswahl weiter eindampfen. wenn ich dann meine auswahl gemacht habe, bekommt der kunde kleine low-res-jpgs in sRGB, die auch auf einem büro-pc gut handelbar sind per ftp-server, datenträger oder mail.solange hebe ich noch die komplette produktion auf, nur reduziert um den technischen ausschuss.
wenn der kunde dann seine endauswahl gemacht hat, bekommt er die high-res daten optimal bearbeitet und wenn nötig verschlagwortet. dann lösche ich alle raw-daten bis auf meine auswahl – damit kann ich dem kunden auch später noch bei bedarf motiv-varianten liefern. ich archiviere in form der capture one-sessions, die einen eindeutigen produktionsnamen haben und nach kunden und jahren sortiert sind. ein einpflegen in eine eigene bilddatenbank lohnt sich für mich nicht, da bei den jahr für jahr zusammenkommenden datenmengen hier nur ein professionelles system mit eigenem server sinnvoll wäre – und das ist mir schlicht zu teuer. weniger von der anschaffung her, mehr aus sicht von pflege und wartung. dafür müsste ich dann personal einstellen, selber schaffe ich das zeitlich nicht.

obwohl ich schon rund 15 jahre digital fotografiere, seit 5 jahren auschliesslich, halte ich den nachgelagerten zeitaufwand für den grössten nachteil an der digitalen fotografie. früher habe ich montags eine grosse produktion gemacht, die filme am abend im labor abgegeben und am dienstag ein anderes shooting gemacht. heute muss ich mich am dienstag an den rechner setzen oder noch montag nacht arbeiten, falls es sehr eilig ist. naja…der preis des fortschritts…… 🙁

so, beste grüße aus dem sonnigen kapstadt
olaf


mahatmaray

vielen dank für die ausführlichen und kompetenten antworten.

liebe grüße nach kapstadt aus dem eiskaltem deutschland…


Christian Ahrens

Hallo,

ich habe noch eine Ergänzung zum Thema, obwohl ich in vielen Punkten den hier geäußerten Ansichten zustimme.

Ich sehe eine Problematik, wenn man die Auswahl zu sehr eindampft. Man weiß ja nicht genau, wofür die Bilder einmal Verwndung finden und ob es nicht vielleicht erforderlich ist, eine Variante mit mehr Fleisch drumherum oder mit einem anderen Ausschnitt zu haben, auch wenn dieses Foto vielleicht nicht so „gut“ ist wie die anderen.

Zudem ist man selbst auch befangen. Oder man kann nicht immer einschätzen, ob in der eigenen Auswahl nicht etwas enthalten ist, was das Bild für den Kunden unbrauchbar macht.

Beispiel: Ich habe neulich eine Geigenbaumeisterin fotografiert, die gleichzeitig auch studierte Musikerin ist. Daher habe ich auch eine Reihe von Portraits beim Spielen des Instruments gemacht. Ein Bild hat mir vom Ausdruck besonders gut gefallen, aber es fiel aus der Auswahl heraus, weil der Spielerin die im Bild erkennbare unperfekte Handhaltung auffiel. Das sind fachliche Einwände, die der Fotograf nicht voraussehen kann. Ähnliches kann man auf fast alle Berufe oder Ambientes übertragen.

Ich tendiere daher dazu, eine größere Auswahl abzugeben, natürlich nur einwandfreies Material, aber eben doch mit Varianten.

Um meine Sicht der Dinge darzustellen, gebe ich neuerdings zusätzlich einen Ordner mit meinen persönlichen Favoriten ab. Das erscheint mir ein guter Weg, auf die m.E. besonders geeigneten Motive hinzuweisen.

VG
Christian



sinar

hallo!

also ich schließe mich den meinungen an! eine der wichtigsten sachen die ich im laufe der jahre gelernt habe ist dem kunden ie ein bild zu zeigen mit dem man selber nicht 120% zufrieden ist. aus, mir unbekannten gründen, entscheidet sich der gemeine kunde nämlich immer für genau so ein bild 🙁 und das kann einen noch jahre später ärgern wenn man es gedruckt sieht.
ich lasse, wenn es die zeit erlaubt auch alles erstmal liegen und treffe dann meine auswahl. der kunde bekommt dann die auswahl zu sehen und nachdem sie/er entscheidungen getroffen hat fange ich an zu retuschieren.

was die bildbearbeitung betrifft muss ich olaf zustimmen – früher war das alles einfacher. meine arbeit hat am labor aufgehört und die arbeit der „labormäuse“ hat angefangen… jetzt kostet die nachbearbeitung den fotografen verdammt viel zeit 🙁

als programm benutze ich Aperture und bin damit unglaublich zufrieden…

LG



Otto

Hallo,

ab und zu, glücklicherweise eher selten, wollen Interessenten von mir eine Auswahl und zusätzlich ALLE Bilder, ohne Auswahl oder Bearbeitung.

Das kostet dann immer einige Mühe, denen zu erklären, daß die Bildauswahl ein wesentlicher Teil der Arbeit des Fotografen ist (und ja immer schon war, auch zu analogen Zeiten, nur eben damals nicht so arbeitsintensiv).

Bis jetzt ist es mir auch immer gelungen, sie umzustimmen, bis auf ein Mal, da blieb die Interessentin dabei: Sie wollte alle Bilder. Den Auftrag hab ich dann abgelehnt.


sinar

Hallo Otto,

da kann ich dir nur zustimmen – wer gibt schon halbfertige werke außer haus… manchmal treiben mich die kundne die wände hoch! ich habe schon ein paar mal überleget meinen eigenen blog auf zu machen: „neulich im fotostudio.de“ 🙂

LG


Andreas

Da hatte ich mal wen, wo ich ’nen ganzen Tag ’ne Hochzeit fotografieren sollte. Es gab eine ganze Liste, wie ich zu arbeiten hätte und vor allem, am Ende der Feier (irgendwann Nachts) sollte ich dann ALLE Bilder vom Tag gleich auf DVD brennen und aushändigen.

@sinar: mach mal den Blog, ich abonniere auch gleich den RSS-Feed 🙂

VG Andreas



sinar

Wenn ich irgendwann mal Zeit habe zwischen den ganzen „Sonderwünschen“ dann werde ich den Blog aufmachen. Um schonmal den Anfang zu machen – letzte Woche hatte ich eine Dame im Studio die so um die 50 war und eigentlich ganz schick aussah… aber Sie wollte, dass ich Sie auf 30 retuschiere. Ich dachte mich, dass Sie das nicht wirklich ernst gemeint hat und habe dem Foto eine dezente Retusche verpasst – so um die 10 Jahre, mit n paar Fältchen – natürlich eben. Nein war die enttäuscht von meiner Arbeit! Also gut, ich mich nochmal hingesetzt und ihr ne VOUGE retusche gegeben. Danach war sie mehr als zufrieden. Das Foto war für Ihren 15 Jahre jüngeren Freund. Also mal ehrlich – ich verstehe das nicht! Er kann sich doch nicht so n Bild auf den Tisch stellen und dann kommt das Orginal um die Ecke…

@andreas: hast du die Hochzeit abgelehnt? und war die Liste um dir zu sagen wo du zu stehen hast usw.?!


Andreas

@sinar: Nein, nicht wo ich zu stehen habe, aber daß ich u.a. mit Aufheller zu arbeiten habe. Wenn es vom Licht her passt, mache ich das eh am liebsten, aber ich lasse mir das nicht vorschreiben. Ich sagte, ich bin schon an dem Tag gebucht.


Michi

Ja, kenne ich. Das stammt aus einem Muster-Briefing, das einmal im Internet kursiert ist. Viele Hochzeitspaare haben es offensichtlich übernommen, ohne es zu verstehen.

Aber will man es den Leute verdenken? Es gibt so große Qualitätsunterschiede bei Fotografen, und wie soll man wirklich sicherstellen, dass man an einem so wichtigen Tag kein Fehlgriff macht …

Ich würde mich aber auch nicht drauf einlassen, sondern das Gespräch mit dem Kunden suchen.


sinar

Muster Briefing!? Davon hatte ich noch nix gehört… Aber du hast Recht, der Kunde will tolle Fotos vom großen Tag! Ich würde mir immer das Portfolio anschauen und hoffen, dass er/sie auch die eigenen Bilder verwendet hat…

Das ist einer Bekannten von meiner Mutter passiert. Ich habe mir die gemachten Aufnahmen angeschaut und dann die Webseite – das war nicht der selbe Fotograf! So was ist einfach …!!!

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Über Michael Omori

Nach vielen Jahren als Berufsfotograf arbeite ich heute als Mentor und Coach für kreative Unternehmer. Mehr über mich

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