
Wie lebt und arbeitet man heute als Fotojournalist? Ein Blick hinter Kulissen fernab aller Klischees und Wunschvorstellungen. Im Januar 2011 interviewt Bastian Ehl den italienische Fotojournalisten und World Press Gewinner Pietro Masturzo.
Kannst Du Dich bitte kurz vorstellen.
Mein Name ist Pietro Masturzo, ich bin 30 Jahre alt und Fotograf.
Wie bist Du Fotograf geworden?
Ich hatte nie den Plan Fotograf zu werden. Ich habe Internationale Beziehung und Diplomatie an der Universität von Neapel studiert. In den letzten Jahren des Studiums begann ich mich für Fotografie zu interessieren. In Folge dessen stellte ich fest, dass es besser für mich ist, Geschichten zu dokumentieren, anstatt als Hauptakteur daran teilzunehmen. Denn genau das wäre passiert, wenn ich in meinem studierten Beruf hatte angefangen zu arbeiten. So habe ich begonnen, meine ersten Reportagen überall auf der Welt zu fotografieren. Die ersten Reisen führten mich in den Kaukasus, da ich mich in meinem Studium ebenfalls mit dieser Region befasste. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über die ethnischen Konflikte des Kaukasus.
Wie ging es dann weiter? Wie bist Du zu Deinen ersten Veröffentlichungen gekommen?
Eine Tageszeitung in Italien hat Bilder meiner Kaukasus-Reisen veröffentlicht. Danach habe ich in Rom Fotografie studiert und begonnen, für italienische Magazine und Foto-Agenturen zu arbeiten.
Bist Du nur als Fotojournalist tätig, oder fotografierst Du auch andere Dinge?
Am Anfang habe ich Events und Hochzeiten fotografiert, um mich über Wasser zu halten. Heutzutage versuche ich nur von meinen Reportagen zu leben.
Wie ist die Situation heute? Arbeitest Du immer noch für Agenturen?
Im Moment arbeite ich komplett frei und unabhängig.
Sind Deine Reportagen Auftragsarbeiten?
Nein. Meistens fotografiere ich ein Thema und versuche dann im Anschluss die Fotos zu verkaufen. Es ist heutzutage fast unmöglich, einen Auftrag für eine Auslandsreportage von einer Zeitung oder einem Magazin zu bekommen. Das bedeutet auch, dass ich alle Kosten vorfinanzieren muss.
Wie ist Dein World Press Gewinnerfoto entstanden?
Ich war für vier Wochen für die Präsidentschaftswahlen 2009 im Iran. Ich bin zwei Wochen vor den Wahlen angekommen und habe das Land zwei Wochen nach den Wahlen wieder verlassen.
Nach der Wahl war ich auf den Dächern Teherans unterwegs und sah diese besondere Form des Protests – das Rufen von den Dächern. Es war die gleiche Art von Protest wie 1979 während der islamischen Revolution gegen den Schah von Persien. Genau 30 Jahre später protestierte das iranische Volk wie damals – damit hatte ich mein Thema für eine Reportage über die Wahlen im Iran gefunden.

World Press Photo of the Year 2009 Pietro Masturzo, Italy
Während ich also auf den Dächern fotografierte, sah ich auf einem Dach unter mir die Frauen stehen und rufen. Ich habe genau zwei Fotos von ihnen gemacht. Natürlich habe ich beim Fotografieren nicht im Entferntesten daran gedacht, dass ich mit einem dieser Fotos einmal den World Press Photo Wettbewerb gewinnen würde. Mir war nur klar, dass ich dort eine sehr emotionale Form des Protests fotografierte und dass die gesamte Reportage ein sehr wichtiges Thema behandelte. Das Gewinnerfoto war eines meiner besten Fotos zu den Protesten im Iran.
Wurde Dein Foto vor dem Gewinn des World Press Photo Preises überhaupt veröffentlicht?
Ein kleines monatlich erscheinendes Magazin in Italien hat es veröffentlicht. Und außerdem wurde es im italienischen Fernsehen gezeigt. Ich war einer der letzten Journalisten im Iran, da fast alle anderen ausgewiesen worden waren. Nach meiner Rückkehr nach Italien interviewte mich das italienische Fernsehen und sie kauften einige meiner Fotos um sie den Zuschauern zeigen zu können.
Hat sich für Dich nach dem Gewinn von World Press Photo etwas verändert?
Jetzt ist es natürlich einfacher für mich, meine Fotos an Redaktionen zu verkaufen. Die Bildredakteure kennen jetzt meinen Namen. Es ist aber weiterhin sehr schwierig, nur von dem Verkauf meiner Reportagen zu leben. Zusammen mit einem Journalisten-Kollegen habe ich ein Buch über die Proteste in Teheran veröffentlicht.
Hast Du noch eine Wohnung in Italien, oder lebst Du aus Deiner Reisetasche?
Im Moment habe ich nirgendwo eine feste Wohnung. Ich hatte eine Mietwohnung in Rom. Aber ich war für weniger als sechs Monate im Jahr dort – eine Wohnung hat sich einfach nicht mehr gelohnt. Ich habe viele Freunde in Rom und wohne dort, wenn ich in der Stadt bin.
Wie stark sind Deine Fotos nachbearbeitet? Wo ist für Dich die Grenze?
Grundsätzlich ist Photoshop ein Muss für digitale Fotografien. Ein Bild direkt aus der Kamera ist in der Regel nicht verwendungsfähig. Zum Beispiel ist es immer notwenig, den Kontrast, die Farben und den Weißabgleich anzupassen. Im Prinzip mache ich nur das mit Photoshop, was man früher in der Dunkelkammer gemacht hat. Mehr darf man mit seinen Fotos nicht machen, wenn man als Fotojournalist arbeitet. Man darf keine Bildteile verändern.
Wie verkaufst Du Deine Fotos?
Ich habe viele Kontakte bei Zeitungen und Magazinen und denen schicke ich Emails mit den Fotos meiner abgeschlossenen Projekte. Oft versuche ich auch schon im Vorfeld Interesse für ein kommendes Projekt zu wecken.
Was machst Du zwischen Deinen Reisen?
Wenn ich zwischen meinen Reportagereisen in Italien bin, bin ich damit beschäftigt, die Fotos der abgeschlossenen Projekte zu verkaufen und parallel meine neuen Projekte zu planen.
Wie viel Zeit verbringst Du mit der Vorbereitung und Recherche und wie viel Zeit mit dem eigentlichen Fotografieren vor Ort?
Die Recherche und Themen-Suche dauert immer deutlich länger, als das Fotografieren. Ich versuche immer, mindestens einen Monat lang zu einem Thema fotografieren zu können. Die Vorbereitung dauert immer mehrere Monate. Dazu kommt dann auch noch immer die Nachbearbeitung und die Bildauswahl der Fotos, wenn ich wieder zurück bin. Auch das braucht sehr viel Zeit.
Machst Du die Nachbearbeitung und Bildauswahl Deiner Arbeiten komplett alleine?
Es ist sehr schwer, die eigenen Arbeiten auszuwählen, sein eigener Bildredakteur zu sein. Heute habe ich einen Bildredakteur, der mir bei der Auswahl hilft. Zusätzlich kümmert sich eine Galerie um den Verkauf von ausgewählten Prints. Was den Verkauf an Magazine angeht, habe ich keinerlei Unterstützung. Und natürlich fehlt die Infrastruktur, auf die man als Agenturfotograf zurückgreifen kann. Ich möchte mich aber im Moment nicht an eine Agentur binden, sondern frei arbeiten.
Wie viele Reportagen fotografierst Du pro Jahr?
Ich versuche weniger, aber dafür bessere Reportagen zu fotografieren. In der Regel fotografiere ich drei Reportagen pro Jahr, maximal vier.
Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Im Moment versuche ich noch meine Reportage über Burma zu verkaufen. Nächste Woche fliege ich für eine Reportage in die Palästinenser-Gebiete. Danach geht es weiter in den Kongo und nach Tansania. 2011 wird meiner Meinung nach ein wichtiges Jahr für Afrika und daher werde ich mich auf diesen Kontinent konzentrieren.
Vielen Dank für das Interview.
Bastian Ehl, der dieses Interview geführt hat, arbeitet als Werbe- und Industriefotograf in Magdeburg (www.bastianehl.com).