Ich bin Deutsch – ein Projekt gegen Fremdenfeindlichkeit

Vor einiger Zeit kam Martin Wolfert auf mich zu und erzählte mir von „Ich bin Deutsch – ein Projekt gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Mich hat beeindruckt, wie Martin die Sprache der Fotografie dazu verwendet, um seine Botschaft auf den Punkt zu bringen.

Eine Botschaft, die in der heutigen Zeit sehr wichtig ist. Ein Aufruf zu Toleranz, Weltoffenheit und Menschlichkeit.

Daher überlasse ich Martin gerne die Bühne, um über sein Projekt zu berichten:

Gastbeitrag von Martin Wolfert

Warum mache ich das Projekt?

Der letztendliche Auslöser war die Aussage des Bundessprechers einer neu in den Bundestag eingezogenen Partei am Wahlabend der Bundestagswahl 2017:

„Ich sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen ich mich bewege, nur noch vereinzelt Deutsche.“

Was für ein Unsinn:

  • Wie sehen „Deutsche“ denn aus?
  •  Wie ich, mit meinen tschechischen Wurzeln?
  •  Wie meine Frau, mit ihren afro-amerikanischen Wurzeln?

Diese Aussage hat das Fass zum Überlaufen gebracht, so dass ich mich noch am selben Abend dazu entschlossen habe, etwas gegen diese ausgrenzende Aussage und gegen die Haltung dahinter zu unternehmen.

Es mag vielleicht eine vererbte Eigenschaft der Menschheit sein, „Andere“ nach ihrer Hautfarbe oder ihrem Aussehen in eine Schublade zu stecken und zu stigmatisieren. Im 21. Jahrhundert ist so ein Verhalten jedoch nicht mehr zeitgemäß. Es ist auch nicht in Ordnung, „Aussehen“ mit rechtsnationaler Argumentationen zu instrumentalisieren um damit Ängste zu schüren.

Daraus ist nur wenige Tage später mein Blog-Projekt „Ich bin Deutsch! – Ein Projekt gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ entstanden.

Mit diesem Blog-Projekt möchte ich versuchen, ein Zeichen gegen eine Stereotypisierung von „Aussehen“ zu setzen. Herkunft und Hautfarbe sind ebenso zweitrangig wie Religion oder Sprache – wichtig ist einzig und allein der Mensch und ein würdiger Umgang miteinander.

Ich möchte auch versuchen, verschlossene Schubladen wieder zu öffnen. Ja, vielleicht ist meine Denke dahingehend ein wenig naiv. Aber vielleicht braucht es, neben den ganzen „intellektuellen“, einfach auch mal eines naiveren Ansatzes.

Als Blogger möchte ich versuchen, etwas gegen eine Aufkommende (vielleicht auch schon teilweise angekommene) rechtspopulistische Strömung mit den mir gegebenen Mitteln unternehmen, um somit der Vielfalt in unserer Demokratie mit Meinungen und Geschichten „von unten“ Ausdruck zu verleihen.

Hierzu interviewe und fotografiere ich Menschen mit Migrationshintergrund, die sich mit meinem Projekt und dessen Aussage identifizieren können und die die Courage haben, ihre Meinung zu sagen ohne dabei ihr Gesicht zu verstecken.

Damit wäre auch ein weiteres Ziel meines Projektes formuliert: Ich möchte persönliche Geschichten und Erfahrungen „aus dem Leben“, abseits von allzu verallgemeinernden Mainstream-Medien erzählen.

Wie läuft das Ganze denn ab?

Alle bisherigen Protagonisten konnte ich entweder über eine direkte Ansprache aus meinem Bekannten- oder Kollegenkreis, oder aus deren Bekannten- und Kollegenkreis für mein Projekt gewinnen. In einem persönlichen Gespräch, oder einem Telefonat, stelle ich den Protagonisten mein Projekt und dessen Ziele vor. Danach vereinbaren wir im besten Falle Ort und Zeitpunkt eines Interviews.

Wenn ich meine Interviewpartner_innen kenne, dann bereite ich mich mit einem individuellen Fragengerüst vor. Dieses Gerüst dient dabei lediglich als roter Faden, da ich die Richtung und damit die Aussage des Interviews gerne offen gestalten möchte. Nach einigen Interviews ergab sich daraus eine Art „Fragenkatalog“ für unbekannte Interviewpartner_innen.
Meistens ergeben sich aus den Gesprächen heraus automatisch weitere Fragen und Themengebiete, die ich sehr gerne aufnehme und einfließen lasse.

Mit dem Fotografieren beginne ich niemals in den ersten Minuten eines Gespräches. Ich möchte versuchen, situative Gefühle in meinen Bildern einzufangen. Den Menschen vor mir in seiner aktuellen Erzählsituation zu fotografieren, und keine aufgesetzte Portraitmaske abzulichten.

Dabei arbeite ich ausschließlich mit „available Light“ auf dem „vorhandenen Set“. Meine Fuji X-T2 in Verbindung mit meinem Fujinion XF 50mm F/2.0 oder meinem Fujinion XF 35mm F/1.4 leisten mir hier, auch bei schlechten Lichtsituationen, sehr gute Dienste.

Die resultierenden Bilder werden dann in Lightroom gesichtet und erfahren eine Bearbeitung mittels Weißabgleich und dem „Lightroom D“. Danach wandern die Bilder in Photoshop, durchlaufen einen leichten Dodge&Burn Workflow um schlussendlich mit SilverEffex in Schwarz-Weiß umgewandelt zu werden. Der niedergeschriebene Text des Interviews geht, dann ,zusammen mit vorselektieren Bildern, zur Abstimmung an die Interviewpartner_innen. In einer oder mehreren Iterationen ergibt sich dann eine abgestimmte Meinung über den Text und die zu verwendeten Bilder.

Welche Herausforderungen hast Du erlebt und wie bist Du ihnen begegnet?

Meine erste Herausforderung war die Namensfindung, als auch ein passendes digitales Zuhause, welches das Projekt aufnimmt, ohne eine Weiterentwicklung zu sehr einzuschränken.

Nach einigem hin und her erschien mir der Projekt-Titel „Ich bin Deutsch!“ in Verbindung mit dem Domainnamen ich-bin-deutsch.land als ideale Kombination: Der Titel bringt meine Projekt-Ziele auf den Punkt, der Domainname besitzt genügend Potential, um weiteren Projekten, Ideen und Meinungen eine digitale Heimat zu bieten. Schön, dass wir uns, aus Parteiensicht, immer noch im „Neuland“ leben und diese Domain noch frei war.

Die zweite große Herausforderung ist für mich die Portraitfotografie. Das ist ein fotografisches Genre, um das ich in den vielen Jahren, in denen ich fotografiere, immer einen großen Bogen gemacht habe.

Das liegt zum einen daran, dass ich im Grunde ein schüchterner Mensch mit einem starken Hang zum Perfektionismus bin. Verbunden mit einer technischen Ausbildung und einer 14-jährigen Tätigkeit als Linux-Administrator konnte man mir eine gewisse Scheu, aktiv auf Menschen zuzugehen und Gefühle situativ zu erkennen, nachsagen. Die Betonung liegt auf „konnte“ ?

Mit vielen kleinen Schritten habe ich mich inzwischen zu einem kommunikativen und aufgeschlossenen Menschen weiterentwickelt, der offen auf Menschen zugeht um mit ihnen zu arbeiten; auch dank meines Projektes.

Es ist unfassbar schwer Menschen zu finden, die bereit sind sich einem Interview zu stellen und somit ihre Meinung, verbunden mit einer visuellen Darstellung, offen im Netz zu präsentieren und damit öffentlich Haltung zu zeigen. Das ist aktuell die größte Herausforderung meines Projektes.

Zum Projektstart hatte ich keinen wirklichen Plan, wie denn Interviewpartner_innen zu finden wären und habe mich total auf mein Blogger- und Fotografennetzwerk verlassen und dort um Verbreitung, um Likes und Shares gebeten. Im Nachhinein gesehen war das sicherlich ein wenig naiv. Rückblickend bin ich froh, einfach angefangen zu haben, als immer noch zu planen.

Das mit dem „online“ Netzwerken, man mag es kaum glauben, ist gar nicht so einfach. Die Reaktionen meines Netzwerkes waren fast immer gleich: „Hey, cooles Projekt …“ oder „Passt voll in die Zeit, mach weiter so …“ oder „Das du dich das traust, Hut ab …“. Danach: Sendepause, keine weiteren Reaktionen.

Gerade von meinem Blogger-Netzwerk hatte ich mir mehr Unterstützung erwartet, da auf vielen Blogs ja auch aktuelle gesellschaftspolitische Themen behandelt werden. Inzwischen sehe ich das deutlich entspannter, da jeder Blogger ja auch sein eigenes Leben, seine eigenen Pläne, Projekte und Ziele hat. Nach den ersten Enttäuschungen ist meine Motivation „es alleine zu schaffen“ nun umso größer.

Zum Glück bestätigen Ausnahmen die Regel, ansonsten könntet ihr diesen Gastbeitrag ja gar nicht lesen 🙂 Danke an dieser Stelle an Michael für die Möglichkeit, hier auf Fotografr ein großes Publikum zu erreichen.

Eine weitere Ausnahme war auch Gunther Wegener, der mir einen Live-Auftritt bei seinem Fotoschnack mit Patrick Ludolph angeboten hat. Leider sind wir terminlich nicht zusammengekommen, und Hamburg ist ja nun schon eine Ecke weg von Karlsruhe um mal schnell rüber zu huschen.

Es würde mich sehr freuen, wenn sich aus diesem Gastbeitrag auf Fotografr Kontakte zu möglichen Interviewpartner_innen ergeben würden. Sehr gerne nehme ich auch Gastbeiträge von Bloggern oder Fotografen auf der Projektseite auf.

Welche Ergebnisse bzw. Reaktionen hast du beobachten können?

Ein sehr klares Ergebnis ist der Inhalt meiner Projektwebseite: Inzwischen habe ich sechs interessante Interviews, mit wunderbaren Menschen führen und aufschreiben dürfen. Ein Interview habe ich Ende letzte Woche geführt, ein weiteres steht morgen an, von zwei weiteren Protagonisten habe ich eine Zusage für ein Interview bekommen.

Ein weiterer, toller und sehr motivierender Meilenstein ist die Aufnahme meines Projektes in den Rahmen der 6. Karlsruher Wochen gegen Rassismus im März diesen Jahres. Dort werde ich, in Zusammenarbeit mit dem Kulturbüro Karlsruhe, am 17.03.2019 um 19:00 Uhr einen Vortrag im Karlsruher Ständehaussaal halten. Der Eintritt ist frei. Damit kann ich ein breiteres Publikum, vor allem auch ein anderes als mein „Onlinepublikum“ erreichen. Begleitet wird dieser Vortrag mit einer kleinen Vernissage von Bildern einiger Projekt-Teilnehmer. Für die Prints suche ich übrigens noch einen Sponsor ;-).

Die vielen schönen Stunden, die ich in Gesprächen mit meinen Interviewpartner_innen habe verbringen dürfen, hat meine Sichtweise auf viele Dinge nochmals verändert. Ich durfte Einblicke in andere Kulturen erfahren und an persönlichen Geschichten teilhaben. Beides hat meinen Erfahrungsschatz vergrößert und auch reicher gemacht. Diese Erfahrungen spiegeln sich natürlich auch auf die Teilnehmer_innen zurück.

Alleine schon das erleben zu dürfen, versüßt mir die Mühen die die Arbeit an meinem Projekt mit sich bringt.

Das ist ein Gastbeitrag von Martin Wolfert.

1 Kommentar zu „Ich bin Deutsch – ein Projekt gegen Fremdenfeindlichkeit“

  1. sehr cooles projekt. leider wird man auf der projektseite von massen an text erschlagen.
    aber hey meckern auf hohem niveau. etwas bebilderung die interview partner in ihrer kulturellen umgebung zeigen wäre noch ein bonus.

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