Street-Fotografie in Havanna


Gastbeitrag von Cornelius Pfannkuch

Über die Kubaner und den Weg zum authentischen Bild

Street-Fotografie bedeutet für mich: Ohne detaillierte Planung mit minimalistischem Equipment durch die Straßen ziehen und Impressionen einfangen, die das Auge für beachtenswert hält. Meine Reise nach Havanna war die erste nach Kuba und dementsprechend bin ich mit der unvoreingenommenen und sich für alles interessierenden Sicht nach Havanna gereist. Wichtig war mir bei den Aufnahmen, die Atmosphäre in den Straßen authentisch wiederzugeben. Es hat sich mir daher verboten, die Menschen anzusprechen und bestimmt Handlungen oder Gesten machen zu lassen oder in anderer Form etwas zu inszenieren. Ein Interesse an kommerzieller Veröffentlichung gab es zu keinem Zeitpunkt.

Ich bin gefragt worden, ob die Menschen in Havanna keine Probleme damit hatten, fotografiert zu werden.

Diese Frage hat mich dazu bewegt, weniger über die gestalterischen Aspekte wie Lichtstimmung, Bildausschnitt, Kontraste sowie pro und contra von Schwarzweiß einzugehen, sondern mehr die psychologischen Aspekte der Street-Fotografie zu betrachten ohne die Gegebenheiten in Havanna aus den Augen zu verlieren.

Wenn eine Person auf der Straße das Gefühl hat, ins Visier eines Fotografen zu geraten, läuft unterbewusst in Sekundenbruchteilen das Programm ab:

  • Was hat der vor?
  • Will der was von mir?
  • Handelt er in meinem Interesse?

Die kubanische Mentalität

Zunächst aber zu den Kubanern: Die meisten Kubaner sind nach deutschem Verständnis nicht wohlhabend und leben in eher einfachen Verhältnissen.

Sie haben nicht viel, aber sie haben sich. Sie sind sehr kommunikativ, leben viel auf der Straße, lieben Musik und Kinder über alles. Ich habe nicht erlebt, dass um Geld gebettelt wurde. Das Wenige was sie haben teilen die Kubaner großzügig und sind sehr gastfreundlich.

Zudem ist der Tourismus in Kuba in den letzten Jahren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden und dem entsprechend werden Touristen (noch) nicht als Eindringlinge oder Fremdlinge betrachtet, die die lokale Kultur zerstören oder sonstiges Unheil ins Land bringen. Man wird in den Straßen oft angesprochen: Woher man kommt, ob man eine Taxifahrt braucht, ein Tipp zum Ausgehen und so weiter. Die Interaktion zwischen Mann und Frau spielt eine große Rolle, sehen und gesehen werden ist Teil der kubanischen Kultur.

Man hat sich immer was zu erzählen: Habaneros in der Bar

Psychologische Bewertungsmuster

Wenn der Kubaner in der Straße eine fremde Person mit Kamera in der Hand wahrnimmt, die sich neugierig umschaut und ein gewisses Wohlwollen ausstrahlt, entscheidet er sich in aller Regel für eine von zwei Optionen.

  1. die Person wird als einer von vielen Touristen identifiziert, der aus unerfindlichen Gründen alles Mögliche fotografiert und dementsprechend ignoriert
  2. die Anwesenheit der Person bedeutet: der interessiert sich für mich!

In den allermeisten Fällen passiert a), d.h. man kann fotografieren, ohne dass die Person im Bild sich beeinflusst fühlt.
Im Fall b) wird man in ein Gespräch verwickelt, eingeladen näher zu treten, nach der Nationalität gefragt oder fordert eine finanzielle Entlohnung für das Fotografiert werden.

Um in die komfortablere Position a) zu gelangen ist es wichtig, der Situation einen gewissen Respekt beizumessen. Neugierig sein, aber nicht aufdringlich!

Die Kleidung, das Auftreten und auch die Fotoausrüstung sollten genau diesen gewissen Respekt ausstrahlen, um authentische Bilder zu bekommen.
Je kleiner, unauffälliger und „normaler“ die Kamera ist, desto eher wirkt sie wohlwollend. Das gilt nicht nur auf Kuba.

„Um die Ecke“ aus der Hüfte fotografiert
Das Interesse geweckt: fotografierende Touristen sind potentielle Kunden

Die Psychologie der Technik

Die klassische Spiegelreflexkamera mit dem lichtstarken Tele-Zoom kommuniziert je nach Situation Unterschiedliches: In der professionellen Studiofotografie strahlt sie Kompetenz aus. Der Auftraggeber ist beeindruckt von großen Geräten und viel Technik.

In der Street-Fotografie hat sie den Paparazzi-Nimbus bekommen. Der Fotograf auf der Jagd nach dem aufreißerischen Titelbild. Entstellende Fotos. Kommerzielle Ausnutzung. Privatsphäre ist egal.

Kompakte kleine Kameras hingegen sind von Vorteil. Sie wirken amateurhaft, wenngleich sie in der Bildqualität sehr nah an die Großen herankommen. Ein weiter Vorteil ist das geringe Gewicht. Bekanntlich ist die beste Kamera diejenige, die man gerade dabei hat. Das gilt in der Street-Fotografie in besonderem Maße, die zum großen Teil vom unvorhersehbaren besonderen Moment lebt.

Als People- oder Street-Fotograf ist es absolut lohnenswert, bei der Wahl der Kamera nicht nur auf Aspekte wie Bildqualität, Sensorgröße, Handling und Preis zu achten, sondern auch auf den Aspekt „Wie wirkt die Kamera auf die Person vor der Kamera“.

Ein Trend ist in den letzten Jahren bei People-Fotografen auszumachen: das Interesse an individuellen Kameragurten aus noblem Leder oder geflochtenem Seil mit ungewöhnlichen Farben und Mustern. Dieses „nebensächliche“ Accessoire kommuniziert dabei etwas ganz Wichtiges:

  • Ich, der Fotograf, habe Stil.
  • Ich bin keiner von diesen Paparazzi.
  • Ich mache künstlerisch wertvolle Aufnahmen aus noblem Interesse.
Diese Frau habe ich mehrere Minuten beobachtet bis ich für sie uninteressant geworden bin

Unbemerktes Fotografieren

Gute Aufnahmen gelingen auch dann, wenn man allgemeines Menschengewirr ausnutzt oder eine sonstige Ablenkung und das Foto macht, bevor die Person überhaupt merkt, dass sie fotografiert wird.
Meistens lohnt es, sich lange genug unauffällig an einem Ort aufzuhalten, so dass die Person sich daran gewöhnt hat oder vergessen hat, dass sie fotografiert wird.

Besonders gerne fotografiere ich „aus der Hüfte“. Am geeignetsten dazu ist eine Kompaktkamera mit Klappdisplay. Ich kann so im ersten Schritt den Bildausschnitt kontrollieren, schaue dann aber die Person direkt an während ich auslöse und nicht durch den Sucher. Sie weiß dann nie genau „fotografiert der schon oder überlegt der noch“ und widmet ihre Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen.

Der Übergang zwischen Straße und Privatsphäre ist in Havanna manchmal fließend

Fazit

Es gibt nur zwei Wege, zu authentischen Bildern zu kommen:

• Die Person bemerkt nicht, dass sie fotografiert wird.
• Die Person kann sich die Frage „Was will der von mir?“ und „Handelt er in meinem Interesse?“ positiv oder wenigstens neutral beantworten, so dass es für sie okay ist.

Als Fotograf muss ich ein Wohlwollen der fremden Person gegenüber ausstrahlen. Das gelingt durch respektvolles und der Situation angemessenes Auftreten.
Nicht nur das Verhalten und die Kleidung, auch die Fototasche und die Kameratechnik spielen dabei eine entscheidende Rolle. Eine kleine kompakte Kamera wirkt dabei weniger aufdringlich und dadurch wird kein kommerzielles Interesse beim Fotografen unterstellt.

In Havanna hatte ich keine Probleme damit, Menschen zu fotografieren. Die Kubaner sind größtenteils kommunikativ, gastfreundlich und offen. Das sind sehr gute Voraussetzungen für die Street-Fotografie, die man in anderen Teilen der Erde nicht so einfach findet.

Wenn die Menschen im Gespräch vertieft sind wird man als unauffälliger Tourist nicht wahrgenommen
Die Jungs waren so mit den Filmaufnahmen beschäftigt, dass sie sich nicht beobachtet fühlten
Ich habe mich ohne zu fragen einfach zur Foto-Session dazu gestellt

 

Über Cornelius Pfannkuch

Cornelius ist Kameramann, Editor, Motion Designer und Fotograf. Seine Spezialisierungen sind Filme für Marketing-Events, Event-Dokumentationen und Bewegtbild im Online-Marketing.

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9 Kommentare zu „Street-Fotografie in Havanna“

    1. Cornnelius Pfannkuch

      Ich habe Überwiegend die Sony RX100 IV benutzt. Die ist unauffällig, voll manuell bedienbar und vor allem so klein, dass man sie immer dabei haben kann.

  1. Mir mögen die Fotos gar nicht gefallen.
    Ich bin zwar nicht im Streetbereich unterwegs, aber das geht auch besser.
    Wirkt eher so als sei Oma Ilse mit der Kamera losgezogen.

  2. Authentische Bilder ist gut und schön aber wie machst du das mit dem Recht am eigenem Bild? Gerade wenn du die Fotos veröffentlichen willst. Fragst du die Menschen im nachhinein? Ich bin in solchen Situationen immer hin und her gerissen. Vorher fragen ergibt meistens gestellte Bilder, nicht fragen und „abschießen“ finde ich auch moralisch bedenklich. Ich gehe immer davon aus, wie erginge es mir, wenn ein Fotograf ungefragt Fotos von mir macht.

  3. Tolle Farben. Meine Antwort zu Kassandras Frage: ich war gerade in Kuba. Sobald man sich selbst unwohl fühlt, sollte man kein Bild machen. Jeder setzt die Grenze anders. Ich habe oft gefragt und positive Reaktionen erlebt. Mancher Kubaner will nicht fotografiert werden und wendet sich ab oder geht ins Haus. Gestellte Bilder habe ich nie machen müssen ?, es ist soviel los auf den Straßen.

  4. Guter Bericht.
    Geht sehr in die Tiefe. Wie sieht es eigentlich mit der Rechtlichen Seite in Kuba aus, wenn ich die Bilder verkaufen möchte?
    und wenn Lost Place betreten möchte?
    LG Gerd

  5. Pingback: Kuba und die Street-Fotografie – Ein zweiter Blick

  6. Pingback: Kuba und die Street-Fotografie – Ein Zweiter Blick

  7. Cornelius Pfannkuch

    zu den moralischen Fragen: Es hängt tatsächlich immer vom Kontext ab. Es gibt Orte, an denen fotografiert dauernd irgendjemand. Wenn jemand ganz grundsätzlich nicht
    fotografiert werden will, meidet er die Orte. Manche Kubaner halten dann auch gerne sofort die Hand auf, wenn sie merken, dass sie fotografiert werden. Wenn Du eine Person in einer „ungünstigen“ Situation fotografierst, ist er nicht begeistert davon. Probleme entstehen ja immer dann, wenn die fotografierte Person sich benachteiligt fühlt, also wenn Du als Fotograf berühmt wirst mit einem Bild oder viel Geld verdienst an einem Bild und die Person auf dem Bild davon benachteiligt ist oder sie auf eine nicht vorteilhafte Weise ablichtest. Ganz oft ist es aber anders herum, dass die Person sich freut, dass Du ihr Aufmerksamkeit schenkst, dann wird das Fotografieren als Wertschätzung verstanden. Die Denkweise dazu ist unter anderem auch kulturell geprägt und das Pro und Contra von der ganz konkreten Situation abhängig. Man muss dafür ein Bewusstsein entwickeln, ob es für beide Seiten okay ist. Wenn Du Dich als Fotograf komisch fühlst beim Ablichten von fremden Menschen, dann mach es einfach nicht, auch wenn Du es vielleicht rechtlich gesehen dürftest. Manchmal ist es ein guter Weg, sich eine Weile an dem (öffentlichen) Ort aufzuhalten, an dem Du fotografieren möchtest. Diejenigen, die sich unwohl fühlen in Deiner Nähe werden Dich entweder ansprechen oder sich Dir abwenden.

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